Podcast: Was folgt nach dem 9-Euro-Ticket?

9.8.22

Wie sieht unser ÖPNV in Zukunft aus? Können wir uns aus dem Ausland etwas abschauen? Über diese und weitere Fragen spricht Daniela Kluckert im Mobilitätsfunk-Podcast.

DK= Daniela Kluckert; H= Host/Moderator

H: Guten Tag Frau Kluckert. Ich würde Sie zu Beginn darum bitten, sich vorzustellen.

DK: Guten Tag, ich bin Daniela Kluckert, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesminister für Digitales und Verkehr. Ich bin Jahrgang 1980, Berliner Abgeordnete der FDP. Meine Themen sind Digitalisierung, Elektromobilität, Ladesäuleninfrastruktur und Seeschifffahrt.

H: Was ist für Sie die Mobilität der Zukunft?

DK: Die Mobilität der Zukunft ist sicherlich digital vernetzt, sie ist größtenteils autonom und dekarbonisiert. Hoffentlich wird sie auch „seamless“ sein, was eine nahtlose Verbindung zwischen den verschiedenen Verkehrsträgern bedeuten würde.

H: Das war eine sehr gute Definition.

DK: Aber es dürfen natürlich nicht nur Buzzwords bleiben. (beide lachen)

H: Das stimmt. Uns ist klar, dass es eine Vision gibt und es noch viele Baustellen auf dem Weg dorthin gibt. Welchen Platz hat der ÖPNV in dieser Vision?

DK: Hier haben wir ganz unterschiedliche Bilder, je nachdem, wo man sich in Deutschland befindet. In Großstädten funktioniert der ÖPNV schon gut, aber natürlich können wir hier auch noch Dinge verbessern: weiteren Ausbau, attraktiveres Angebot für die Menschen. Wir können hier auch neue Ideen einbeziehen wie neue Verkehrsträger, On-Demand-Lösungen und Mikromobilität. Die Preise für den ÖPNV sind bereits attraktiv. Die Menschen auf dem Land sind auf das Auto weiter angewiesen. Hier müssen wir den ÖPNV attraktiver machen. Das schaffen wir mit On-Demand-Verkehr oder autonomen Fahrzeugen. Wir wissen, was wir tun können, doch die Umsetzung ist teuer. Die Länder müssen sich dieser Aufgabe annehmen. In Lippe, Nordrhein-Westfalen, habe ich die Fachhochschule besucht, die ein ganz tolles Schienenprojekt entwickelt: Einspurige Fahrzeuge, die autonom fahren. Damit wollen sie Strecken ökonomisch und ökologisch sinnvoll reaktivieren.

H: Sie haben ein interessantes Beispiel aus Deutschland genannt. Schauen sie beim Thema ÖPNV auch auf andere Länder? Kann man in anderen Ländern spannende Projekte beobachten und etwas lernen?  

DK: Gerne wird Luxemburg als Beispiel herangezogen. Man darf aber nicht vergessen, dass Luxemburg ein viel kleineres, wohlhabendes Land ist und man sich deshalb schwer damit vergleichen kann. In Israel werden KI-gesteuerte automatisierte Busse nachbestellt, wenn sie in Stoßzeiten an ihre Kapazitätsgrenze kommen. Bemerkenswert ist auch die Pünktlichkeit der Verkehrsmittel in einigen asiatischen Ländern. In Japan, Taiwan oder Südkorea ist man uns bei der Digitalisierung des ÖPNV weit voraus. In Deutschland tun wir uns schwer damit, analoge Prozesse abzuschaffen. In Bussen kann man bis heute mit Kleingeld bezahlen. Das ist auch für die Busfahrer und Busfahrerinnen nicht schön. Wir müssen uns an diese analogen Prozesse herantrauen, damit wir Kapazitäten und Ressourcen einsparen können.

H: Das 9-Euro-Ticket treibt die Mobilitätswelt zurzeit um. Es läuft zu Ende August aus und darauf folgt eine Evaluation. Welche Aspekte werden da angeschaut, um eine Folgeentscheidung treffen zu können?

DK: Grundsätzlich ist es richtig zu evaluieren, bevor eine Fortsetzung beschlossen wird. Das Projekt sollte Menschen entlasten, die darauf angewiesen sind, mobil zu sein. Das haben wir nun erreicht. Leider befinden wir uns in einer schwierigen Haushaltslage, wo finanzielle Mittel gut abgewogen werden müssen. Wir müssen uns fragen, welche positiven Signale durch das 9-Euro-Ticket versendet wurden – wie z.B. die Begeisterung zur Nutzung des ÖPNV. Zudem hat das Ticket das deutschlandweite, uneingeschränkte Reisen ermöglicht. Normalerweise trifft man in den Bundesländern auf unterschiedliche Ticketstrukturen. Das Ticket und das Tarifsystem wurden einfacher. Ich hoffe, dass die Erfahrung mit dem 9-Euro-Ticket zu einem Schub zur Vereinfachung der Ticketstrukturen führt. In den Städten haben wir meist ein attraktives Tarifsystem. In Berlin kostet eine Monatskarte für den AB-Bereich 63€. Natürlich müssen wir schauen, inwiefern das für sozial schwache Personen zu finanzieren ist. Dass Mobilität etwas kostet, ist selbstverständlich und wir sollten nicht in eine Gratismentalität abrutschen. Es müssen attraktive Ticketpreise sein, die die Menschen dazu bewegen, das Auto zu Hause stehen zu lassen.

H: Da stimme ich Ihnen zu. Allein, dass der ÖPNV nun öffentlich besprochen wird, ist ein Erfolg des 9-Euro-Tickets. Sie haben gesagt, dass das 9-Euro-Ticket eine soziale Idee war, um Bürger und Bürgerinnen zu entlasten. Einen weiteren Punkt haben Sie genannt: Man muss ein nachhaltiges Modell finden, das dann auch finanzierbar ist. Was kommt denn danach? Welche Faktoren werden die wichtigste Rollen spielen?

DK: Gerade weil diese Fragen noch offen sind, ist es so wichtig, zu evaluieren. Beispielswiese müsste man sich anschauen, welche Bevölkerungsgruppen man mit dem Ticket erreicht hat: Pendler, Rentner und Rentnerinnen, Familien oder Wochenendreisende? Auch müssen wir fragen, ob zusätzlicher Verkehr geschaffen wurde oder ob der ÖPNV anstelle eines anderen Verkehrsmittels genutzt wurde. Die Länder sind für den ÖPNV zuständig und seine Finanzierung. Der Bund unterstützt mit Regionalisierungsmitteln. Die Länder müssen sich überlegen, wie sie nach Ablauf den Tickets weiter vorgehen. Auf der nächsten Verkehrsministerkonferenz im Herbst ist auch der Bund mit dem Verkehrsminister vertreten. Dort wird es um genau diese Fragen gehen. Es muss aber vor allem darum gehen ein attraktives Angebot zu stellen, das auch genutzt werden kann. Da wir nur begrenzte finanzielle Mittel haben, müssen wir schauen, wo wir Prioritäten setzen.

H: Sie haben das Beispiel Luxemburg genannt. Dieses zeigt, dass es ohne Infrastruktur keine Preisgestaltungsmacht geben kann. Man braucht ein Grundangebot, das den ÖPNV attraktiv macht. Erst dann kann man sich Gedanken über die Preisgestaltung machen. Wie kann der ÖPNV in fünf bis zehn Jahren aussehen im Sinne des Angebots und der Frequenz?

DK: In der Vergangenheit wurde nicht aufgebaut, sondern abgebaut. Das wollen wir verändern. Wir wollen die Resilienz des Systems erhöhen. Wir müssen auf Ausweichmöglichkeiten schauen, damit kleinere Ausfälle und Verschiebungen aufgefangen werden können, ohne dass direkt ganze Linien ausfallen. Gleichzeitig sorgen wir für einen weiteren Ausbau des Personennahverkehrs. Ehrlich gesagt dauern solche Projekte aber lange. Sie werden in fünf Jahren keine völlige Veränderung spüren. Wer aber nie anfängt, kann auch nicht fertig werden. Wir haben die Bahn in einem desolaten Zustand von der Vorgängerregierung übernommen. Die bestehenden Herausforderungen gehen wir jedoch an, unter anderem auch mit einer stärkeren Anbindung der Deutschen Bahn an das Ministerium. Damit kontrollieren wir, dass die Ziele auch erreicht werden. Insgesamt müssen die Dinge besser vernetzt werden, da spielt eine erhöhte Frequenz nicht unbedingt eine Rolle. Viele Wege werden durch den ÖPNV gar nicht abgebildet. Einige Wege sind auch nicht abbildbar. Beim Einkaufen zum Beispiel wird das Auto der entscheidende Verkehrsträger bleiben. Deswegen müssen wir die Dekarbonisierung über Verkehrsträger hinweg anstreben. Es geht eben auch um eine Veränderung der Antriebe und Kraftstoffe, wir können nicht auf eine Sache setzen.

H: Das Thema der Einbindbarkeit wollte ich auch ansprechen. Wie stellen Sie sich Multimodalität vor? Wie soll Einbindbarkeit aussehen?

DK: Jedes Verkehrsunternehmen geht momentan seinen eigenen Weg. Die Bürger und Bürgerinnen sehen jedoch nicht die Unternehmen, die hinter den Verkehrsträgern stecken, sondern das Mittel: den Bus, die U-Bahn oder eben die S-Bahn. Diese Erkenntnis kommt aber nicht an. Somit haben wir viele verschiedene Apps der Anbieter, die sich nicht verknüpfen lassen. Das führt auch dazu, dass der ÖPNV weniger genutzt wird. Dann gibt es noch separate Ticketverkäufe und Fahrpläne. Wenn wir den ÖPNV attraktiver machen wollen, brauchen wir eine bessere Vernetzung und eine Übertragbarkeit. Wir merken, dass alternative Plattformen wie Google in den Markt vorrücken, vernetzte Angebote schaffen. Unsere meist staatlichen Verkehrsunternehmen schaffen es nicht, zu kooperieren, Daten auszutauschen, um gemeinsam etwas hervorzubringen. Es ist schade, dass wir uns diese Möglichkeiten nehmen lassen. Im Endeffekt müssen wir die Unternehmen dann dazu verpflichten, ihre Daten gegen Entgelt zu teilen, damit hier etwas Zusammenführendes entstehen kann.

H: Ich schätze, bei vielen Verkehrsunternehmen entsteht eine Art Verlustangst. Dabei ist es eigentlich eine Chance, neue Geschäftsmodelle und Umsatzkanäle zu erschließen. Die neue EU-Regulierung könnte eine große Chance sein, dass man Systeme im Hintergrund schafft, die auf ein nutzerzentriertes Angebot passen. Gibt es Bestrebungen, die Hintergrundstruktur anzupassen?

DK: Die muss natürlich angepasst werden, die Verteilung der Gelder ist ein wichtiger Punkt. Es dauert im Moment teilweise Jahre, bis Gelder verteilt werden. Das ist nicht zeitgemäß. Mithilfe von Digitalisierung sollten wir zu einer schnelleren Aufteilung der Mittel kommen. Die Zählung von Passagieren unter Datenschutzstandards sollte ebenfalls möglich sein. Wenn man Veränderungen haben möchte, muss man diese gesetzlich formulieren.

H: Spannend für den ÖPNV ist, dass er proaktiv seine Zukunftslandschaft mitgestalten kann, wenn man es möchte. Vielen Dank, dass Sie Ihre Einblicke mit uns geteilt haben. Wir sind gespannt auf das, was kommt, auch von Seiten der EU.

DK: So ist es! Der ÖPNV muss es aber auch machen. Da kommt in den nächsten Jahren viel auf uns zu.

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